Der Märchenerzähler.

Montag, Mai 28

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Und dann, nach der sechsten Stunde, nach einem absolut tödlichen Biokurs, fand sie die Puppe. Später dachte sie oft darüber nach, was geschehen wäre, wenn sie sie nicht gefunden hätte. Nichts, wahrscheinlich. Alles wäre für immer so geblieben, wie es war, sie in ihrer Seifenblase, einer schönen und irgendwie auch eigensinnigen Seifenblase . aber kann denn irgendetwas so bleiben wie es war, wenn man beinahe achtzehn ist? Natürlich nicht.

Abel Tannatek der Außenseiter, der Schulschwänzer, der Drogendealer. Wider besseres Wissens verliebt Anna sich rettungslos in ihn. Denn da gibt es noch einen anderen Abel. Den sanften und traurigen Jungen, der für seine Schwester sorgt und der ein Märchen erzählt, das Anna nicht mehr loslässt. Doch die Grenzen zwischen Realität und Phantasie verschwimmen. Was, wenn das Märchen gar kein Märchen ist, sondern grausame Wirklichkeit? Was, wenn Annas Befürchtungen wahr werden? Was, wenn der, den sie liebt, zugleich ihr schlimmster Feind ist?

(Zitate Seite 17 und Klappentext | Cover: goodreads.com)

Es gibt zwei Dinge, die es mir schwer machen über den Märchenerzähler eine ordentliche Rezension zu verfassen: zum einen ist es praktisch unmöglich, nicht zu spoilern, deswegen rate ich allen, die das Buch ohne Voreindrücke lesen wollen dringend davon ab, nach diesem Absatz fortzufahren. Und zum anderen ist es nicht ganz einfach einen differenzierten Blick auf die Geschehnisse zu werfen, da man als Leser nur die völlig subjektiven Eindrücke von Anna "zu Gesicht" und wenig Möglichkeit bekommt, selbst über das Verhalten der anderen Charaktere - allen voran Abel - zu reflektieren.

Wie in vielen andere Rezensionen ebenfalls hochgelobt, kann ich nur sagen, dass der Stil ein wahrer Traum ist. Lyrisch und voller Metapher zieht es einen praktisch in den Roman hinein und ohne es zu merken sind plötzlich zwei Stunden und über einhundert Seiten vergangen. Wirklich stark an die Märchen der eigenen Kindheit erinnernd, ist dieses Stilmittel meiner Meinung nach perfekt gewählt.

Abel's Märchen. Hach. Wie wundervoll es ist und wie gerne ich einen ganzen Wälzer von ihnen lesen würde! Es hat mich fasziniert, dass nahezu jeder Charakter seine eigene Rolle in der Welt der kleinen Königin hat und Abel jedem von ihnen eine passende und trotzdem sehr märchenhafte Rolle zuweist. Der Fragende und der Antwortende sind hierbei besonders hervorzuheben, wie sie scheinbar willkürlich irgendwelche Fragen oder Antworten rufen, die sich aber im Nachhinein zu dem großen Gesamtbild nahtlos einfügen. Dieser starke Bezug zur Realität hat dafür gesorgt, dass ich, wie Anna, irgendwann nicht mehr ganz in der Lage war das Märchen von den wirklichen Gegebenheiten zu differenzieren.

Besonders gelungen ist aber die bereits erwähnte Subjektivität von Anna. Andernfalls wäre es viel schwieriger, so in das Märchen einzutauchen. Phasenweise war ich gar nicht in der Lage irgendeine andere Möglichkeit zu sehen als die, die sich Anna eröffnen. Das irgendjemand sie anlügt oder sie völlig auf dem Holzweg ist, scheint unmöglich. So negativ das auch klingen mag, macht gerade das die Authensität und den Charme des Märchenerzählers aus. Es ist faszinierend, wie sich Anna so kompromisslos einem potentiellen Mörder hingibt und man es ihr als Leser gleich tut. Das zeigt ganz einfach, dass es mehr gibt als ein einfaches "gut" und "böse" wie es in Abel's Märchen natürlich thematisiert wird und das man es sich zu einfach macht wenn man jemanden auf eines dieser beiden Worte abstempelt.

Genial sind schlussendlich auch die Wendungen, die der Roman nimmt. Besonders auf den letzten hundert Seiten geschehen Dinge, mit denen wahrscheinlich niemand so recht gerechnet hat. Auch wenn sich das eine oder andere erahnen lässt, wird alles durch Annas Sichtweise verschleiert und man ist sich als Leser bis zum Ende nicht sicher, was nun wirklich vor sich geht. Für dieses kleine Meisterwerk gibt es neun Triads von mir!

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